2. November 2021
Was ist was im elektronischen Rechtsverkehr

Mit dem näher rückenden 1.1.2022 und einem weiteren Gesetzesteil der in Kraft tritt, schießen erwartungsgemäß die Annahmen und Überlegungen von Betreuern und Vereinen ins Kraut was diese wohl zu tun haben oder zu was sie verpflichtet werden können.

Wir fassen einmal den Status Quo zusammen, zeigen Begrifflichkeiten auf und geben zugleich Aussicht wie eRV BdB at work Nutzende betrifft.

Begriffsbestimmung

Ein kleines Sammelsurium an Begriffen die in diesem Umfeld vorkommen und die gerne kreuz und quer genutzt werden, jedoch teils sehr verschiedenen Bedeutung haben:

eRV – Elektronischer Rechtsverkehr

Allgemeiner Oberbegriff der die gesamte Kommunikation übers Internet mit und zwischen den beteiligten Teilnehmern beschreibt. Ersetzt als Oberbegriff den veralteten Begriff EGVP weil diese spezifisch nur die Gerichte bezeichnet, ERV jedoch sehr viel mehr Teilnehmer meint.

Sinn des eRV ist es eine verbindliche Zustellmöglichkeit neben dem analogen Brief und dem nicht mehr gewünschten Fax zu schaffen und dabei trotzdem sichere und beleghafte Zustellung zu gewährleisten. Zugleich soll durch eine maschinell lesbare Struktur die automatische Zuordnung zu einer dann hoffentlich auch elektronisch geführten Akte vereinfacht und gewährleistet werden.

EGVP – Elektronisches Gerichts- und Verwaltungspostfach

Alter Begriff der eRV ausschließlich als “Email-Postfach-Ersatz” sah und dabei nur Gerichte und Behörden als Empfänger im Blick hatte. EGVP wurde im Zuge der Entwicklung immer wieder erweitert und umfasste schnell auch Teilnehmer die namentlich mit “EGVP” überhaupt nicht abgedeckt waren.

Mit der Einführung immer weiterer “Postfächer” für andere Gruppen wie z.B. Anwälte und Notare wandelte sich die Bedeutung. Das technische Format blieb und ist anerkannte Grundlage auch von eRV wie man es heute versteht.

EGVP wird aber als Bezeichnung nicht mehr genutzt, da es nur aufzeigt, das man den Wandel noch nicht mitbekommen hat. Da sowas aber nicht so schnell in der Verwaltung als Begriff “auszurotten” ist, findet man die immer noch geltenden und aktuellen Informationen weiterhin unter Elektronisches Gerichts- und Verwaltungspostfach – EGVP

SAFE-ID – Das bundesweite “Telefonbuch” des eRV

Jeder authentifizierte Teilnehmer ist über seine SAFE-ID eindeutig identifizierbar und in einem dazu durch die Bundesnotarkammer betriebenes zentrales Register hinterlegt. Die SAFE-ID wird also im eRV wie eine Emailadresse als eindeutige Kennzeichnung des Adressaten genutzt. Nur das dabei die SAFE-ID eindeutig und authentifiziert ist und damit dem Empfänger klar zugeordnet ist während bei einer normalen Email aber auch im alten „Bürgerpostfach“ jeder sich unter einem beliebigen Namen (und damit defacto anonym) darstellen konnte.

Jeder Teilnehmer am ERV muss eine authentifizierte SAFE-ID besitzen. Ohne diese kann niemand teilnehmen.

Intermediär – “Das eRV Netzwerk”

Die eigentliche Infrastruktur des Netzwerks, d.h. die Server und Gateways die zum Versenden, Zustellen und Erreichen von und zu Teilnehmern benötigt werden, wird unter der Hoheit der einzelnen Bundesländer betrieben. Die Bundesländer betreiben bzw. beauftragen dazu jeweils eigene “Rechenzentren”. Diese Einheiten bezeichnet man im eRV allgemein als Intermediär. Über sie läuft die gesamte Kommunikation des eRV. Der jeweilige zuständige Intermediär des Teilnehmers, d.h. das Bundesland in dem der Teilnehmer beheimatet ist, hält für diesen das Postfach vor und sorgt zugleich für die Zustellung versendeter Nachrichten an die Postfächer in anderen Bundesländern (also zu anderen Intermediären).

beBPo | beN | beA – Die aktuellen “besonderen” Postfächer

Die verschiedenen Teilnehmergruppen am ERV haben jede ihre eigenen Postfächerarten.

beBPo – das besondere elektronische Behörden-Postfach → Öffentliche Stellen und Behörden & Gerichte
beN – das besondere elektronische Notar-Postfach → Alle Notare
beA – das besondere elektronische Anwalts-Postfach → Alle Anwälte

Die Aufteilung ist eigentlich rein organisatorisch und ist vor dem Hintergrund zu sehen “wer bestimmt wer mitmachen darf”, da der Teilnahme-Antrag kontrolliert und genehmigt werden muss. Für die Notare bestimmt so z.B. die Bundesnotarkammer wer mitmachen darf und wer nicht.

Die Nutzung der verschiedenen Spielarten der Postfächer wird bzw. ist bereits für die einzelnen Gruppen verpflichtend. So ist z.B. für Anwälte die Nutzung des beA ab 1.1.2022 verpflichtend.

Wichtig: eRV ist keine Einbahnstraße! Nutzt man ein eigenes Postfach ist auch der Empfang bei Teilnahme verpflichtend und das Dokument gilt mit dem Einstellen der Nachricht in das eigene Postfach rechtlich als zugestellt. Alle evtl. damit verbundenen Fristen laufen ab dem Moment. Egal ob der Empfänger die Nachricht dann aus seinem Postfach bereits abgeholt hat oder nicht.

eBO – Jetzt neu: Das elektronische Bürger- und Organisationspostfach

Am 17.9.2021 vom Bundesrat abschließend verabschiedet wird nun ein mit Wirkung zum 1.1.2022 ein weiteres Postfach, diesmal für alle anderen natürlichen und juristischen Personen (also Bürger und sonstige Organisationen) eingeführt.

Zwar konnte in den vergangenen Jahren bereits jeder Bürger über die EGVP-Technologie mit einem passenden Client (z.B. dem Governikus Communicator) an ein EGVP bzw. beBPo versenden und auch empfangen. Da allerdings dabei versäumt wurde die Identität des Teilnehmers zu authentifizieren, war dies keine belastbare Basis für den eRV, da im Prinzip jeder auch anonym oder unter falschen Namen versenden und empfangen konnte. Eine rechtlich entlastende Zustellung war damit unmöglich.

Das neue eBO soll dies in der technischen Struktur des existierenden beBPo/beN/beA jetzt nachbessern.

Zur Teilnahme als “Bürger” an dieser Form des ERV muss der Teilnehmer authentifiziert werden. Dies ist über verschiedene Wege möglich:

  • Natürliche Personen elektronisch über den elektronischen Personalausweis z.B. via AusweiApp2
  • Die Länder können auch eine andere Form der Authentifizierung (z.B. via Bürgeramt o.ä.) organisieren
  • Juristische Personen müssen ihre Identität einmalig über einen Notar beglaubigen müssen.

Für juristische Personen gilt der Weg über Notare.  Der Notar beglaubigt die Identität und Vertretungsberechtigung deren Identität. Über ihren Zugang zum eRV-Netzwerk wird dann die SAFE-ID der juristischen Person “freigeschaltet”.

Betreuer/innen und Betreuungsvereine werden explizit im “eBO-Gesetz” als Nutzer benannt. Es steht jetzt also außer Zweifel, das das eBO und nicht etwa eine Grauzonen-Nutzung des beBPo für Betreuer angedacht ist. Rein rechtlich ist die Nutzung des eBO im Gegensatz zu den anderen “besonderen Postfächern” im übrigen auch (noch?) nicht verpflichtend. Allerdings ist die Nutzung natürlich von großem Vorteil und wenn ein Gericht auf die Anlieferung via eBO besteht, wird eine defacto Pflicht bestehen.

Für alle Interessierten...

Das “eBO-Gesetz” hat den sperrigen Titel “Entwurf eines Gesetzes zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer prozessrechtlicher Vorschriften”. Dabei handelt es such um ein sogenanntes Artikelgesetz. Dieses dient der Änderungen von anderen Gesetzes und ändert diese damit so ab, das diese fortan dem neuen Zweck dienen, bzw. diese dahingehend ergänzen. Es gibt also kein Gesetz in dem schön in Paragraphen verteilt alles haarklein drin steht. Im Gegenteil: Hunderte Änderungen in vielen anderen Gesetzen passen die Gesetzeslage an die neue Lage an.

Im Gesetzesentwurf der Bundesregierung sind die Erläuterungen und Kommentierungen enthalten die einfacher lesbar sind und auch die angedachte Interpretation klarstellt. Hier ist auch die Nutzung für Betreuer/innen bereits in der Zielsetzung deutlich hervorgehoben.

FunFact am Rande: Googeln Sie nicht nach „EBO“, denn das ist die Eisenbahn-Betriebsordnung…

Wann geht’s wirklich los?

Im “eBO-Gesetz” sind verschiedene Zeitpunkte enthalten die besonders beachtenswert sind bzw. Zeitpunkte die schon früher feststanden sind jetzt

1.1.2022 – Das Gesetz selbst tritt in Kraft. Dies bedingt nicht eine sofortige Nutzungsverpflichtung für alle Beteiligte. Dies ist schon deswegen nicht möglich, da die Länder (vergl. Intermediäre) den Betrieb von eBOs technisch und organisatorisch vorbereiten müssen. Insbesondere der im Gesetz vorgesehene Authentifizierungsweg des zukünftigen Teilnehmers muss organisiert um umgesetzt sein.

Hier ist zudem wichtig: Die Nutzung des eBO zur Übermittlung an Gerichte und Behörden ist ein Recht und keine Pflicht. Betreuer/innen und Betreuungsvereine als explizit benannte mögliche Teilnehmer am eBO haben also rechtlich die Möglichkeit dies zur Kommunikation mit den Gerichten und Behörden zu nutzen. Es ist jedoch zu diesem Zeitpunkt keine rechtliche Verpflichtung.

1.1.2022 – Nutzung des beA durch Anwälte wird verpflichtend. ABER… das gilt natürlich nur für RAs in ihrer Rolle als Anwälte in einem gerichtlichen oder behördlichen Verfahren. Nicht verpflichtend ist es wenn der RA als Betreuer auftritt. Dann allerdings würde er es natürlich nutzen können, da der RA es ja bereits für andere Zwecke als Betreuung eingerichtet haben muss.

1.1.2022 – Die Nutzung von beBPo wird verpflichtend für alle “professionellen Einreicher”. Dies sind laut Gesetz: Rechtsanwälte, Behörden und sonstige juristische Personen der öffentlichen Rechts.

Zu diesen Gruppen gehören explizit nicht Betreuer oder Betreuungsvereine. Betreuer/innen betrachten sich zwar zu Recht als professionelle Einreicher, sind jedoch nicht als solche in der Gruppe der benannten Verwender. ….und Betreuungsvereine sind keine juristischen Personen öffentlichen Rechts (ARD, ZDF, Rentenkasse usw.) sondern juristische Personen privaten Rechts (Vereine!). Daher sind sowohl Betreuer/innen wie auch Betreuungsvereine explizit im “eBO-Gesetz” benannt. Sie sollen also eBO und nicht beBPo nebst der damit verbundenen rechtlichen Konsequenzen benutzen.

Dies bedeutet aber auch, das es noch keine gesetzliche Verpflichtung zur ERV Teilnahme für Betreuer/innen und Betreuungsvereine ab 1.1.2022 gibt.

1.1.2023 – Steuerberater sollten ab Januar 2023 auch ein “eigenes” Postfach erhalten und synonym zu beA und beN verpflichtend nutzen. Da diese Gruppe nun “spontan” und für alle Beteiligten überraschend das eBO nutzen sollen (und damit plötzlich bereits zum 1.1.2022 verpflichtet wären) erhalten Steuerberater eine Übergangspflicht bis vorerst zum Juni 2022 (Stand Okt. 2021, eine weitere Verschiebung ist denkbar).

1.1.2026 – Verpflichtende ERV und Führung der elektronischen Akte für alle Verfahrensbeteiligten

Für alle die die Timeline spannend finden, hat die Justiz in Baden-Württemberg eine inhaltliche Zusammenfassung im Netz die eine gute Übersicht hierzu bietet: Wann geht es wo los?

…und was ist mit DE-Mail?

DE-Mail ist nach eigenem Bekunden der Urheber nie wirklich akzeptiert worden. Rechtlich ist es weiterhin ein alternativer Weg rechtsverbindlicher Zustellung von elektronischen Nachrichten an Teilnehmer mit DE-Mail-Adresse. Allerdings blieb die Teilnehmermenge deutlich hinter den Erwartungen zurück.

Spätestens nachdem der Telekom-Vorstand DE-Mail als “totes Pferd” bezeichnet hat und das Produkt DE-Mail aus dem Telekom-Angebot gestrichen hat und nachdem in obigem eBO-Gesetz die Bundesregierung selbst die technischen und organisatorischen Schwächen der DE-Mail offen benennt, hat die DE-Mail im Kontext von ERV keine Zukunft mehr und wird auch seitens Verwaltung und Gesetzgeber nicht mehr als zukunftsfähiger Weg ausgestaltet.

LOGO Datensysteme, BdB at work und eRV – Wie geht es weiter?

Wie in der Vergangenheit auch, werden wir BdB at work zeitnah aktualisieren um auch deutlich vor einer gesetzlichen Verpflichtung für unsere Nutzer das eBO für eine zeit- und ressourcensparende Nutzung des ERV in BdB at work nutzbar zu machen.

Da mit der Verabschiedung des “eBO-Gesetzes” im Sept. 2021 nun die Rahmenbedingungen feststehen, arbeiten wir bereits mit Hochdruck an diesen Möglichkeiten und sind zuversichtlich, das wir in Kürze gemeinsam mit einem starken Partner eine eBO Lösung anbieten können.

Die vielfach angefragte Nutzung zum 1.1.2022 mag möglich werden, ist jedoch aus den oben aufgezeigten Gründen für keinen Betreuer verpflichtend. Auch wir sind dabei auf die ebenso zeitnahe Umsetzung der technischen eBO Grundlagen durch die Intermediäre aller 16 Bundesländer angewiesen. Vorher ist eine Nutzung schon technisch nicht möglich. Sobald dies technisch ohne Probleme möglich sein wird, wird auch BdB at work die einfache Nutzung der entsprechenden Software enthalten.